Undenkliche Zeiten und Menschengedenken

Ein Rechtsinstitut seit der Spätantike

Immer wieder begegnen in historischen Texten die Angaben "seit un(vor)denklichen Zeiten" und "seit Menschengedenken". Der Aufsatz liefert Definitionen und Beispiele.

Erstveröffentlichung 2017 im Eschweiler Geschichtsverein.

Rechtsinstitut der un(vor)denklichen Zeit

Grundsätzlich ist die in historischen Texten, insbesondere Urkunden genannte "un(vor)denkliche Zeit" an das gleichnamige Rechtsinstitut angelehnt und bezeichnet eine Spanne von mindestens 80 bis mehreren Hundert Jahren (Gottsched 1762, 76 nimmt irrig eine Untergrenze von 300 Jahren an).

Das Rechtsinstitut der un(vor)denklichen Zeit wird seit dem römischen Recht und im deutschen und im kanonischen Recht (Friedländer 1843; Windscheid 1963) bis in das heutige Zivil- und Sachenrecht (s.u. "Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung") angewendet und begründet einen beanspruchten Rechtszustand (insbesondere über Liegenschaften und Dienstbarkeiten) aus einer nicht widerlegten Vermutung über seine Verleihung heraus. Voraussetzung ist, dass der Entstehungszeitpunkt des Anspruchs unbekannt ist (in einer unbekannt früheren Zeit liegt) und der beanspruchte Rechtszustand seit einem Menschenalter unverändert und unangefochten als Recht besessen worden ist und ein weiteres Menschenalter vorher keine Erinnerung an einen jemals anderen Rechtszustand bestanden hat. (Schelling 1835, 146; BGHZ 16, 234)

Unter "Menschenalter" ist eine Spanne von 40 Jahren zu verstehen (Schelling 1835, 127; BGHZ 16, 234, 238; BGH 12.12.2008 – V ZR 106/07), was im Übrigen den Grundsätzen der Kanoniker für eine Verjährung gegen die Kirche entspricht (Friedländer 1843, 43). Der Eschweiler Anzeiger vom 23. Januar 1856 nennt im Zusammenhang mit der Getreidelieferung aus Schweden 1856 im Hinblick auf die von 1816 (Jahr ohne Sommer) eine Frist von exakt 40 Jahren (Eschweiler Anzeiger, 9. Jg. Nr. 7 v. 23.1.1856, S. 1); im Reichsabschied von 1567, § 105, vernichtet ein- oder zweimalige Besteuerung "seit Menschengedenken" Steuerfreiheit.

Bewiesen wird die undenkliche Zeit durch Schriftstücke zwischen den Zeiten, das Alter einer Anlage, auf die sich der Rechtszustand erstreckt, und besonders durch Zeugen. In Betracht kommen Zeugen, denen eine Wahrnehmungsfähigkeit über die letzten 40 Jahre in der Sache zugeschrieben werden kann. Das Reichskammergericht (1495-1806) soll das Mindestalter tauglicher Zeugen auf 50 Jahre bestimmt haben (Schelling 1835, 128).

Ist die Ausübung eines Rechts seit undenklichen Zeiten bewiesen, steht die Undenklichkeit dem Beweis der rechtmäßigen Erwerbung gleich, d.h. ein seit "undenklichen Zeiten" ausgeübtes Recht vertritt den Beweis der rechtlichen Bestellung.

Zum Beweis, dass das Haus Löwenstein "seit undenklichen Zeiten" im Besitz des herzoglich Arenbergschen Anteils an der Herrschaft Bertrix (Belgien/Wallonien, Neufchâteau) ist, werden 1805 acht eingesessene männliche Zeugen benannt, die zwischen 50 und 66 Jahre alt sind: zwei Meier (Verwalter), ein Gerichtsschreiber (Notar) und fünf Schöffen (Arenberg 1805, 52f.). Im Streit der Scheiff 1663 gegen den Junker Adam von Horrig vor dem Abt von Siegburg bezeugt der hochbetagte Dr. iur. Siebert d.J. von Lauvenberg, dass die Inhaber des Hauses Lauvenberg "seit undenklichen Zeiten" Anspruch auf das Kirchengestühl über der Gruft der Lauvenberg in der ersten Reihe im Chor der Kapelle in Nemmenich haben (Simons 1912, 55). Wilhelm von Eschweiler wird 1244 das seit "unvordenklicher Zeit" durch seine Vorfahren (nach Quellenlage seit 1145) ausgeübte Amt des Schultheißen zu Eschweiler zu erblichem Lehen übertragen.

Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung

Rechtsinstitut aus dem römischen und kanonischen Recht: mittels einer nicht widerlegbaren Vermutung wird eine Widmung in früherer, nicht mehr ermittelbarer Zeit rechtlich nachgewiesen. (Windscheid 1963; Friedländer 1843; Schelling 1835) Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs liefert die unvordenkliche Verjährung "den Beweis für eine in früherer Zeit von der zuständigen Obrigkeit ausdrücklich oder stillschweigend erteilte Verleihung. Dafür ist es erforderlich, dass der als Recht beanspruchte Zustand in einem Zeitraum von 40 Jahren als Recht besessen worden ist und dass weitere 40 Jahre vorher keine Erinnerung an einen anderen Zustand seit Menschengedenken bestand" (BGH 12.12.2008 – V ZR 106/07, BGH 4.2.1955 – V ZR 112/52 = BGHZ 16, 234, 238; vgl. auch: BVerfG 15.4.2009 – 1 BvR 3478/08, Rn. 17).