Unheimliche Idylle
NS-Propaganda in Heimatbildern und die Rezeption in der Gegenwart
Vita Alfred Englaender
Alfred (Ludwig Peter Alfred) Englaender wurde am 28. Dezember 1898 in Waxweiler, Kreis Prüm, als Sohn der Eheleute Anna Hittorf und Emil Englaender geboren. Der Vater war gebürtig aus Uckerath im Rhein-Sieg-Kreis und Notar und Rechtsanwalt. (StaA Waxweiler B 1898/163) Zwischen 1899 und 1902 verzog die Familie nach Eschweiler, wo Emil Englaender ein Notariat annahm und wo Alfreds Bruder "Curt" (Johann Hubert Conrad) am 4. Juli 1902 geboren wurde (StaA Eschweiler B 1902/446). Emil Englaender wurde 1920 Schützenkönig der Eschweiler St. Sebastianus-Bruderschaft und war Ehrenmitglied der örtlichen Feuerwehr, bei der man 1933 das "Horst-Wessel-Lied", das Kampflied der Nazis, sang (EZ 78,1933), war mithin gut als Elite in das Kleinbürgertum integriert, bis er 1950 in Eschweiler verstarb. Die Söhne Alfred und Curt machten beide zunächst eine Kaufmannslehre, wandten sich später jedoch anderen Berufen zu. Beide waren Antisemiten und Nazis.
Curt Englaender ist der in der Literatur bekanntere der Brüder. Er trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Jurist: 1928 Promotion zum Dr. iur., 1930 Assessor. 1928 gehörte er der rechtsnationalen DVP in Eschweiler an, trat im Zuge deren Selbstauflösung unter Bewerbung der Nazis 1933 als "Märzgefallenener" zur Nazi-Partei über und brachte es dort zum Kreiswalter des Rechtswahrerbundes, zum Ortsgruppenleiter und Kreisamtsleiter, war zudem in der SA. 1931 bis 1936 versuchte er sich als Rechtsanwalt und dann als von der NSDAP ernannter Bürgermeister in Kesternich in der Eifel und 1939-42 in Menden im Rhein-Sieg-Kreis. (Löffelsender 2015 S. 173. Musiał 1999 S. 384. Roth 2013 S. 471) Im Rhein-Sieg-Kreis war die Verwandtschaft der Familie weiterhin verwurzelt. (Vgl. Familien-Fotos unter der EGV-Signatur "aus E304", die im Rhein-Sieg-Kreis, vermutlich bei Sövern, entstanden sind. Im EGV sind diese zusammengesteckt mit Bildern anderer Provenienz, maßgeblich sind die Fotos cat499 bis cat510.) Traurige Bekanntheit in der Literatur erlangte Curt Englaender aber erst nach dem deutschen Überfall auf Polen. 1942 kam er in die Hauptverwaltung in Hans Franks Schreckensreich (Roth aaO.), dem sogenannten Generalgouvernement, abgekürzt "GG". Ins "GG", "Gauner-Gouvernement", wie das besetzte Polen im Nazi-Jargon der Korruption in der deutschen Zivilverwaltung wegen auch genannt wurde, schien an Verwaltungsleuten von wenigen Ausnahmen abgesehen "überhaupt nur Ausschuss […] gesandt worden zu sein, von den sogenannten Rechtswahrern gar nicht zu sprechen", wird der einflussreiche Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei der Nazis, zitiert (Musiał 1999 S. 82). 1942-44 war Curt Englaender Stadthauptmann von Lublin. Zwar war dort bereits für ein Ghetto gesorgt worden, nach Musiał (1999 S. 262) aber beeinflusste er die Selektion der Juden zur Ermordung. Das hinderte ihn in der Nachkriegszeit nicht an einer Karriere, in der er vom Angestellten in einer Samenhandlung, Rechtsanwalt und Verwaltungsbeamter schließlich zum Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts in Mainz aufstieg (Musiał 1999 S. 384. Roth aaO.). Curt Englaender ist kein Einzelfall, wie sich Karrieren im NS-Staat in der BRD problemlos wiederholen ließen. Als Jurist befasste er sich mit Jagdrecht. Er verstarb 1983 in Altenkirchen, Kreis Westerwald (StaA Köln I – A 1930/726).
Die Vita von Alfred Englaender ist in der Literatur kaum bekannt. Haug (1999 S. 518) als auch der EGV (1985 Bl. 1v) geben Kurz-Biografien mit auffälligen Unrichtigkeiten an.
Laut Heiratsurkunde von 1929 war Alfred Englaender von Beruf Kaufmann (StaA Eschweiler – A 1929/2). Im Zuge der allgemeinen Talentabwanderung zu Beginn des NS-Staats, darunter etliche der tatsächlich qualifizierten Bildjournalisten (Sachsse 2003 S. 113), wenn nicht nahezu alle (Freund 1979 S. 137), dürfte für ihn Raum geworden sein, als Fotograf, insbesondere als Bildjournalist aufzutreten. So sind auch die hier als von ihm identifizierten Fotos nicht vor 1934 entstanden. Dazu passt zudem gut, dass "Pg." Englaender 1933 Eschweiler Ortsgruppenleiter des Deutschen Handlungsgehilfen-Verbands (DHV) war (WG 228,9), einem kaufmännischen Berufsverband. Ab dem 16. September 1933 erschien er als verantwortlicher Lokalschriftleiter im Impressum des "Eschweiler Beobachters", der von den Nazis "ohne Rücksichtnahme" als "scharfe Waffe" gegen "Schädlinge, Maulwürfe und Besserwisser" und als "Vermittler und Verkünder der Ideen Adolf Hitlers" etabliert wurde (WG 231,9). Der "Eschweiler Beobachter" war eine Ortsbeilage des "Westdeutschen Grenzblatts", Tageszeitung und seit Ende April 1933 zugleich "amtliches Organ der NSDAP" (WG 93,9) im Raum Aachen. Das "Westdeutsche Grenzblatt" erschien bis Dezember 1933 und ging dann auf im "Westdeutschen Beobachter", nach Eisheuer (1944) "neben dem Völkischen Beobachter ältestes und größtes Blatt der nationalsozialistischen Bewegung". Herausgeber des "Westdeutschen Grenzblatts" als auch des "Westdeutschen Beobachters" war Robert Ley, Reichsleiter der NSDAP und Führer der DAF, der sich 1945 durch Suizid dem Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg entzogen hatte.
Englaender erschien fortan bis zuletzt am 30. September 1938 als verantwortlicher Schriftleiter im Impressum des "Eschweiler Beobachters" (WB 268,14). Von Oktober 1938 bis zum 18. Januar 1939 scheint er als solcher von V. Schwerdtfeger zunächst vertreten (WB 269/270,14 ff.) und dann abgelöst (WB 18,15 ff.) worden zu sein. Ute Haug (1998 S. 72 FN 587) findet ihn 1940 als stellvertretenden Lokalschriftleiter des "Westdeutschen Beobachters" für die Stadt Köln.
In der Kurz-Biografie bei Haug (1999 S. 518) heißt es indes, er sei von "1934 bis 1945 Lokalredakteur für den Deutschen Beobachter" gewesen. Eventuell ein Flüchtigkeitsfehler. Der "Deutsche Beobachter" erschien nämlich erst 1939 und nur bis 1942. Er war, wie es im Untertitel hieß, "Zeitung der Deutschen Südwestafrikas" und wurde von Nazis in Windhoek als Blatt zum "Deutschtum" und zu Themen der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika herausgegeben. Im Vergleich mit den in Deutschland verbreiteten Hetzblättern wie dem "Westdeutschen Beobachter" war der "Deutsche Beobachter" weniger aggressiv, wie allgemein die deutsche Auslandspresse, schon um Einschränkungen zu vermeiden und um ein positives Bild zu bewerben.
Die Schriftleitung des EGV-Heimatkalenders 1985 verortete Englaender "vor dem Zweiten Weltkrieg" als "Redakteur beim 'Boten an der Inde'" (EGV 1985 1v). Der "Bote an der Inde", mit vollem Namen "Eschweiler Zeitung – Bote an der Inde", war ein konservatives katholisches Blatt, das den Nazis gegenüber nicht ganz unkritisch war. Dass Englaender dort tätig gewesen sein soll, das lässt sich aus dem Impressum und auch sonst aus dieser Zeitung weder erkennen noch erschließen, und das passt auch nicht zu der nachweisbaren Vita.
Wann Englaender der Nazi-Partei beigetreten ist, habe ich beim Bundesarchiv nicht abgefragt. Es erscheint mir nicht erheblich, wann er formell den Nazis beigetreten ist. Als Schriftleiter eines NS-Parteiorgans war er kein Mitläufer, sondern Täter. Es ist auch davon auszugehen, dass er vor 1933 schon Antisemit gewesen ist. Denn 1933 war er bereits Ortsgruppenleiter des DHV, der per Satzung von 1896 Juden von der Mitgliedschaft ausschloss. George Mosse (1966) hat den DHV zutreffend als Sammelbecken, in welchem "die antijüdische Einstellung […] oft der einzige verbindende Gedanke [war], in dem sich die verschiedenartigsten rechtsgerichteten Standpunkte begegneten" (S. 225) beschrieben und eine Vision des DHV von einem Apartheidstaat entworfen. Nicht unwahrscheinlich scheint mir, dass Englaender spätestens 1929/30 über seine Ehefrau Hedwig Krüger aus Eschweiler-Röhe mit den Nazis in Verbindung kam. Hedwig Krüger war eine Cousine des 1899 in Röhe geborenen Paul Krüger (Niederhäuser 2018), der sich schon "seit 1922 mit der Judenfrage beschäftigte" und seitdem mit dem Gauleiter Grohé bekannt gewesen sein soll (WB 187,14). Paul Krüger trat am 1. April 1930 der NSDAP bei, war im NS-Lehrerbund, in der DAF und als NS-Kreisrichter tätig, bevor er ins Reichschulungsamt der Nazis wechselte (Lauer 2017 FN 61. WB aaO.).
Im Scheidungsurteil von 1946 heißt es, Englaender sei "Lokalschriftleiter" (LandG Bonn 1 R 860/46), und nach Haug (1999 S. 518) war er 1946-49 für die "Rhein-Zeitung Cochem" tätig. Also in der französischen Besatzungszone, wo man es mit der "Entnazifizierung" nicht so genau nahm wie Amerikaner und Briten und die somit zu einem "Auffangbecken 'Ehemaliger'" wurde (Köpf 1995 S. 171). Peter Köpf hat auf eine erschreckende, von aller "Entnazifizierung" unbeschadete Kontinuität von Nazi-Propagandisten in der deutschen Nachkriegs-Presse hingewiesen, und darauf, dass auch die "Rhein-Zeitung" keineswegs an eine Konfrontation der Deutschen mit ihrer Mitverantwortung für den Nazismus dachte, sondern vielmehr auf Verdrängung setzte (1995 S. 188).
Ab 1950 war Englaender Redakteur der in Düsseldorf erscheinenden "Libelle" (Haug aaO. HHI 90.5023TG.829), die als "Wochenschrift für die Frau" mit Mode und Kochrezepten aufwartete, bis er 1952 in Düsseldorf die Pressebild-Agentur "laenderpress" begründete (AmtsG Düsseldorf HR B 30 553). Er bewarb seine Agentur international als Repräsentant für West-Deutschland, die Benelux-Staaten, Österreich und die Schweiz (Englaender 1956), belieferte in Deutschland u.a. die CDU (Konrad-Adenauer-Stiftung, Plakatsammlung). 1961 wird seine Tochter Hanne Friedrich-Englaender, später verheiratete O‛Neill, als Redakteurin genannt (Institut für Publizistik 1961 S. 235). Die Ägide aber lag weiterhin bei Englaender (Frankenberg 1964 S. 18 nennt ihn "Chief Picture Librarian"). Hanne O‛Neill setzte "laenderpress" nach dem Tod ihres Vaters zunächst fort, veräußerte die Agentur dann aber in den 1980er Jahren (AmtsG Düsseldorf aaO.).
Aus der Nachkriegszeit finden sich einige wort- und bildjournalistische Arbeiten Englaenders: Er schrieb 1954 "Aus einem modernen zoologischen Institut" in "Kosmos" und in der "Henkel Zeitschrift" aus Düsseldorf über den Indianermaler Carl Ferdinand Wimar, zu dem seine zweite Ehefrau einen verwandtschaftlichen Bezug hatte. 1957 erschien bei Hans Knipping in Düsseldorf das Heft "Du kennst den Krampen nicht; Kreuz- und Querschnittchen aus dem Herzstück der Mosel" mit Zeichnungen von Franz Jansen. Fotobeiträge erschienen z.B. 1954 in der "Foto-Rundschau", 1957 in "Travel and Camera" zur Beschreibung der Robot Royal 36, eine Kleinbild-Kamera. 1958 gewann er einen dotierten Preis in dem vom Deutschen Journalisten-Verband in Zusammenarbeit mit der Berufsgruppe der Journalisten in der Industriegewerkschaft Druck und Papier ausgerichteten Foto-Wettbewerb "Lachende Kamera".
Indes ist über eine Auseinandersetzung mit dem Nazitum von Englaender nichts bekannt geworden. Auch nicht in seinen Schriften für den Bergischen Geschichtsverein und später für die "Heimatblätter des Siegkreises". Da ging es vielmehr um "Anekdoten aus dem Siegkreis" und "Kunststoff-Faksimiles von Karl dem Großen nach einer Ofenplatte" (Englaender 1958, 1965, 1966, 1967). Schließlich habe ich einen Hinweis gefunden (Alte Große Uckerather 2018), dass er 1970 über die Karnevalsgesellschaft "Remm Flemm", was soviel wie Knallfurz heißen soll, geschrieben hat, womit sich der Kreis zum karnevalsjecken Eschweiler wieder schlösse.
1976 ist Alfred Englaender in Bierth im Rhein-Sieg-Kreis verstorben.
Auf Opportunismus in der Nazi-Zeit kann für Alfred Englaender nicht erkannt werden. Noch während seiner kaufmännischen Tätigkeit war er im antisemitischen DHV organisiert, und er war dort Funktionär. Später als Redakteur des "Westdeutschen Beobachters" konnte er sich vom Schriftleitergesetz (1933/34) nicht eingeengt fühlen, weil der "Westdeutsche Beobachter" als Nazi-Kampfblatt ja gar nicht mehr "gleichzuschalten" war. Als Antisemit im DHV wird er seine journalistische Karriere auch nicht allein deshalb beim "Westdeutschen Beobachter" bzw. "Westdeutschen Grenzblatt" begonnen haben, weil dies 1933 politisch opportun erschien, sondern weil er bei dieser Gelegenheit erst Journalist wurde. Er war ein überzeugter Schreibmaschinen-Täter, dem zudem die Gleichschaltung wie anderen Amateuren auch ungeheure Aufstiegsmöglichkeiten als Wort- und vor allem Bildjournalisten bot. Für ihn war das der Aufstieg vom Amateur zum Lokalredakteur.
Für die Fotos der Sammlung hat er wahrscheinlich eine Leica benutzt. Die Sammlung ist zwar schon aufgrund der beschriebenen Mängel an der Bildstelle nicht mit Sicherheit repräsentativ. Es ist mir aber auch für die spätere Zeit nur das Kleinbild-Format für Englaender bekannt worden, und das wurde massiv von den Nazis beworben.
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